des Werner-Fuß-Zentrums an der freien "Universität" in Berlin



Warum Einwilligungsunfähigkeit kein Kriterium zur Rechtfertigung von psychiatrischer Zwangsbehandlung sein kann – der Beweis.
 
(Die-BPE hat dem Bundesverfassungsgericht diesen Beweis am 4. Mai 2016 zugestellt) 
 
Prämisse 1: 
Niemand darf mit staatlichen Zwangsmaßnahmen zu einer Überzeugung bzw. einem Glauben genötigt werden – insbesondere nicht mit einer zu erduldenden Körperverletzung. 
 
Es gibt für Kranke ein Recht auf Krankheit und es gilt das absolute Folterverbot. 
 
Prämisse 2: 
Die Existenz von psychischer Krankheit ist nicht unumstritten – es besteht ein Meinungsstreit. Deren Existenz wird z.B. von dem Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie Prof. Thomas Szasz (1920–2012) seit 1961 mit vielen Veröffentlichungen z.B. „Geisteskrankheit – ein moderner Mythos“ verneint. Andere Akademiker, wie der berühmte Michel Foucault, haben ihm seit 1961 beigepflichtet. Viele der jemals psychiatrisch diagnostizierten Betroffenen teilen dieselbe Überzeugung. Z.B. explizit alle, die eine PatVerfü unterzeichnet haben. Obgleich kein Mainstream, ist diese Überzeugung also keine völlig abwegige Marginalie. 
 
Schluss: 
Dementsprechend kann „Einwilligungsunfähigkeit“ keine Rechtfertigung für irgendeine Zwangsbehandlung sein, egal wie einschränkend weitere sonstige [gesetzliche] Bedingungen sein mögen. Im Beschluss des Bundesverfassungsgericht [BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. März 2011 – 2 BvR 882/09 – Rn. (1-83)] wurde also keine schlüssige Rechtfertigungsgrundlage für Zwangsbehandlung benannt. 
 
Beweis: 
Einwilligungsfähig in eine Behandlung wegen einer Krankheit der eigenen Person kann diese Person dann, und nur dann, sein, wenn sie – jenseits der Richtigkeit der Diagnose – die Existenz dieser Krankheit zumindest für wahrscheinlich hält, besser, daran glaubt oder sogar davon überzeugt ist. 
 
Laut Prämisse 2 gibt es also 
 
A) Menschen, die psychische Krankheit zumindest für wahrscheinlich halten, daran glauben oder von deren Existenz überzeugt sind. 
 
B) Menschen, die psychische Krankheit weder für wahrscheinlich halten, noch daran glauben, noch von deren Existenz überzeugt sind. 
 
Nur die Menschen der Gruppe A) können also einwilligungsfähig bzw. einwilligungsunfähig sein – aus welchen Gründen auch immer. 
 
Menschen der Gruppe B) können – bei Bewusstsein – unter keinen Umständen in eine Behandlung einer ihrer Überzeugung nach nicht existierenden Krankheit einwilligen. Eine Einwilligung wäre für sie eine bewusste Lüge. Somit sind sie aus dieser Logik heraus prinzipiell, also immer, einwilligungsunfähig. 
 
Wenn Menschen der Gruppe A) bei einer psychiatrischen Untersuchung als „psychisch krank“ diagnostiziert werden, so kann prinzipiell auch deren Einwilligungsfähigkeit bzw. Einwilligungsunfähigkeit festgestellt werden. Unter Umständen mögen sie zeitweise „krankheitsuneinsichtig“ sein, aber prinzipiell ist es möglich. Es entsteht kein Paradox. 
 
Wenn Menschen der Gruppe B) bei einer psychiatrischen Untersuchung – die möglicherweise sogar gegen deren Willen vorgenommen wird – als „psychisch krank“ diagnostiziert werden, so kann jedoch prinzipiell nie deren Einwilligungsfähigkeit festgestellt werden, denn sie sind aufgrund ihrer Überzeugung bzw. ihres Glaubens immer einwilligungsunfähig. 
 
Wenn die Einwilligungsunfähigkeit der Gruppe B), unter welchen Zusatzbedingungen auch immer, dazu führen könnte, dass damit eine psychiatrische Zwangsbehandlung gesetzlich gerechtfertigt werden könnte, dann wäre Prämisse 1 verletzt. Denn die gegebenenfalls zu duldende Zwangsbehandlung könnte von den Betroffenen dann nur noch dadurch beendet werden, dass sie ihre Überzeugung unter der Erfahrung der nötigenden Zwangsmaßnahmen entweder verleugnen oder widerrufen. Beides wäre erzwungene Krankheitseinsicht – eine „Selbstbezichtigung“ angeblich „psychisch krank“ zu sein. Diese Zwangsmaßnahmen würden das Folterverbot verletzen (Stichwort: Geständniszwang). 
 
Weder das Bundesverfassungsgericht noch die deutschen Gesetzgeber dürfen dieses international anerkannte jus cogens verletzen. Keine Interpretation des Art. 2 GG darf es unterlaufen, wie es das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss des Zweiten Senats vom 23. März 2011 – 2 BvR 882/09 – Rn. 47 + 49 versucht: 
 
Zitate: 
 
b) Zur Rechtfertigung des Eingriffs kann aber das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) geeignet sein, sofern der Untergebrachte zur Wahrnehmung dieses Interesses infolge krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit nicht in der Lage ist. 
 
bb) Das Gewicht, das dem eingeschränkten Grundrecht in der Abwägung mit denjenigen grundrechtlichen Belangen zukommt, die durch den Eingriff in dieses Recht gewahrt werden sollen, kann jedoch nicht vollkommen losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Grundrechtsträgers zu freier Willensentschließung bestimmt werden (vgl. BVerfGE 58, 208 <225>). Der Gesetzgeber ist daher berechtigt, unter engen Voraussetzungen Behandlungsmaßnahmen gegen den natürlichen Willen des Grundrechtsträgers ausnahmsweise zu ermöglichen, wenn dieser zur Einsicht in die Schwere seiner Krankheit und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist. Das Bundesverfassungsgericht hat angenommen, dass unter dieser Voraussetzung der schwerwiegende Grundrechtseingriff, der in einer Freiheitsentziehung liegt, zum Schutz des Betroffenen selbst gerechtfertigt sein kann, und die nach Landesunterbringungsrecht für einen solchen Fall vorgesehene Möglichkeit fürsorgerischer Unterbringung zum Zweck der Behandlung gebilligt (vgl. BVerfGE 58, 208 <224 ff.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. März 1998 – 2 BvR 2270/96, NJW 1998, S. 1774 <1775>). 
 
Fazit: 
Psychiatrische Zwangsbehandlung kann nur durch eine, die entsprechende Zwangsbehandlung explizit bewilligende, vorher mit freiem Willen verfasste, Patientenverfügung gerechtfertigt werden. Der Versuch, den Art. 2 GG so zu interpretieren, dass eine Einwilligungsunfähigkeit unter bestimmten Bedingungen eine zu erduldende Körperverletzung rechtfertigen könne, verstößt gegen das absolute Folterverbot. Entsprechend hat auch der Sonderberichterstatter über Folter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Juan E. Méndez, geurteilt, dass „alle Staaten ein absolutes Verbot aller medizinischen nicht einvernehmlichen bzw. Zwangsbehandlungen von Personen mit Behinderungen verhängen sollten, einschließlich nicht-einvernehmlicher Psychochirurgie, Elektroschocks und Verabreichung bewusstseinsverändernder Drogen, sowohl in lang- wie kurzfristiger Anwendung. Die Verpflichtung, erzwungene psychiatrische Behandlung wegen einer Behinderung zu beenden, ist sofort zu verwirklichen und auch knappe finanzielle Ressourcen können keinen Aufschub der Umsetzung rechtfertigen.“
Quelle: www.folter-abschaffen.de 

Bemerkenswert: 

Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Beweis beachtet und am 8.6.2021 in den beiden Verfahren 2 BvR 1866/17 und 2 BvR 1314/18 ein verfassungsrechtlich geschützes Recht auf Krankheit in einem Beschluss festgeschreiben, siehe Kommentar hier.

Bundesverfassungsgericht bricht jus cogens