Pressekonferenz
aus Anlaß der
Gründung des Foucault Tribunals

Ansprache von Prof. Dietmar Kamper


Meine Damen und Herren ich möchte jetzt die angesetzte Pressekonferenz eröffnen. Es geht darum, daß wir etwas zu verkünden haben, nämlich die Gründung eines Foucault Tribunals zur Lage der Psychiatrie. Das Unternehmen ist nach einem anstrengenden Tag an dem verschiedene Personen teilgenommen haben, um aus ihren Arbeitsbereichen kommend zu berichten, gestern gegründet worden. Das Problem um das es geht, und eine der Schwierigkeit der gegenwärtigen Situation, die in aller Unerträglichkeit meistens dazu führt, daß auch die Mittel der Ekenntnis stumpf werden, doch noch Mal auf eine neue intensiver Weise zu beschreiben und sich mit ihren Selbstverschleierung so zu beschäftigen, daß es wenigsten möglich ist die wirkliche Situation derjenigen, der unter Zwang leben müssen, öffentlich bekannt zu machen. Es ist ja so, das wir, das wurde gestern auch so bekannt, vor zwei Jahrzehnten schon einmal den Versuch gemacht haben - von den Universitäten her - uns dieser Realität zuzuwenden. Das hat dann zu verschiedenen Ausformungen der Anti-Psychiatrie geführt u.a. war auch in dem Zusammenhang eben der Namensgeber des Tribunals, nämlich Michel Foucault tätig, der sich dann durchaus mit seinen Analysen ein wenig aus dieser Anti-Stellung herausgelöst hatte, um besser begreifen zu können, wie es überhaupt zu dieser Situation kommt, in der immer mehr Menschen in dieser Gesellschaft sich vorfinden in eine Situation geraten, die das an sich hat, was man vielleicht Erkenntnis-aversiv nennen könnte. Da sind dann auch viele von uns still geworden ohne die Arbeit aufzugeben, aber es bedurfte dann, glaube ich der Nachdrücklichkeit und Insistenz von Thomas Szasz und auch der unendwegten Erinnerung von René Talbot, daß wir von der Universität uns aufs Neue nun mit dieser Wirklichkeit beschäftigen wollen. Am Ende des gestrigen Tages, so schien es mir, auf dem viele Klagen, Anklagen und auch Ansätze von Verhandlung der Probleme vorgetragen worden sind, kam es zu einer Ultimativen chaina also zum Abendessen, daß ich selbst als die Stunde der Gründung interpretiere. Akte der Gründung sind heute ja, wenn ich mir das so zu sagen erlaube, nicht mehr ohne weiteres möglich, weil wir uns nicht in eine Phase der Gründung, sondern der Ruinierung der Institutionen befinden und so glaube ich aber dem Gang der Diskussionen, der Gespräche, der Entscheidungen des gestrigen Tages so verstehen zu dürfen, daß also dieses Foucault Tribunal nun als gegründet gilt und daß wir in diesem Rahmen eine Vorbereitung einer großen Veranstaltung im Februar die Anstrengungen fortsetzen werden, die gestern begonnen haben.

Es war für mich auffallend, daß sehr viele mit Äußerungen verbundenen Ansprüche so ähnlich klangen wie wenn wir hier ein Gericht wären oder ein oberstes Gericht oder ein Gerichtshof aber ich glaube der Gerichtshof der Vernunft, der den Philosophen des bürgerlich Zeitalters vorschwebte, ist nicht mehr besetzt. Die Klagen sind dort nicht anbringbar. Es geht jetzt glaube ich nur noch so, daß einzelne sich die Mühe machen in einer gewissen Unerbittlichkeit gegen die Konvention und auch gegen ihre eigenen Gewohnheiten zur Sprache zu bringen, was nicht einfach zur Sprache zu bringen ist. Das Fehlen dieses Gerichts so scheint mir muß begriffen werden und daraus müssen Konsequenzen gezogen werden, die uns nicht mehr in die Lage von irgendwelchen fantasmatischen Omnipotenz Kompensationen bringen, wie diese Termini auch immer heißen mögen. Die Universtität ist in gewisser weise in der entscheidender Frage eine Erkenntnis dessen, was wirklich in dieser Gesellschaft geschied, in einer Phase der Inkompetenz geraten, die wir uns nicht weiter bieten lassen sollten. Das ist auch ein Krieg innerhalb der einzelnen Fächer also gegen die Tendenz, sich abzuschließen vor der zugegebener Maßen zum Teil schrecklichen, zum Teil unerträglichen Wirklichkeit. Jeden Falls, ist mit dieser Gründung des Foucault Tribunals eine Absicht verbunden, die man so benennen könnte: es soll aufgehört werden mit dem Totschweigen.

Die erste Frage nach dem Vortrag von Prof. Szasz am gestrigen Tage war dann auch diese Frage: „Wie kann man sich erklären, daß das Wissen, das sich nun auch schon seit einigen Jahrzehnten - vielleicht schon länger - in Schriften, in Büchern aber auch in Gründungen von Vereinigungen, von Bewegungen, die sich bemühen, diese Lage zu klären, daß dieses Wissen nicht den gesellschaftlichen Wert und Platz bekommt, der ihn gebührt. Es liegt offenbar nicht daran, daß es fehlt - das Wissen ist da, aber wir müssen uns selbst mit der Unwirksamkeit dieser wissenschaftlichen Selbstreflektion in der gegenwärtigen Situation intensiver beschäftigen. Dazu auch dient dieses Unternehmen. Foucault hat - meines Erachtens - sehr vorbildlich für sich selbst und für viele von uns zur lösen versucht, in dem er die mit sein Ansatz-verbundene Wissenschaftskritik nicht gescheut hat und gerade im Bezug auf das, was traditionell Wahnsinn heißt einige Aussagen verbunden, die immer noch schockierend, wenn nicht vielversprechend und vielverheißend sind. Ich wollte Ihnen wenigstens einen dieser Sätze am Ende seines Bändchens: „Psychologie und Geisteskrankheit" vorlesen.
„Die gegenwärtige Welt macht die Schizophrenie möglich, nicht weil sie durch ihre Ereignisse unmenschlich und abstrakt wäre, sondern weil unsere Kultur diese Welt auf eine solche Weise liest, daß der Mensch selbst sich nicht mehr in ihr erkennen kann. Einzig und allein der reale Konflikt der Existenzbedingungen kann als Strukturmodell für die Paradoxie der schizophrenen Welt dienen."

Also das ist der Hinweis darauf, daß wir ohne den Konflikt, der sich artikuliert auch in einer solchen Veranstaltung nicht weiter wüßten. Und deswegen danke ich zunächst Mal dafür, daß wir in diesen Konflikt auf verschiedene Weise hineingetrieben und hineingebracht worden sind. Gestern, ein Schlüsselsatz des nachmittags, fand ich, die Umdrehung des einzigen Gesetzes oder des zweiten einzigen Gesetzes der aufgeklärten Christenheit also: „Liebe Deine Nächsten wie Dich selbst." Eine Grundlage für vielerlei Sozialbeziehungen, auch für die Hilfen. Die Umkehrung dieses Satzes - Wolf-Dieter Narr hat sie artikuliert - „Fürchte Deine Nächsten wie Dich selbst", das ist eine Antwort auf unerträgliche Lagen und darin steckt eben auch der Satz: „Fürchte Dich selbst". Und das ist vielleicht eine Neuentdeckung, die wir erst seit einiger Zeit mühsam verarbeiten. Daß wir auf eine immer noch rätselhafteweise beteiligt sind, jedenfalls wir - Nachdenkliche, Intellektuelle - beteiligt sind an der Grausamkeit, die wir ablehnen. Foucault hat dafür Mittel und Wege gefunden, das auch zu thematisieren und zu entdecken und mir scheint, daß wir ohne eine Selbstbezüglichkeit dieser foucaultschen Reflektion nicht weiter kommen. Er selbst hat sich mehrfach gegen die Form des Tribunals ausgesprochen, also in dem Sinne, daß es irgendwelche Menschen geben könnten, die in der Gegenwart noch ein definitives Urteil über Schuldige und Opfer fällen könnten, weil das Verhältnis von Täter und Opfer auf eine sehr raffinierte Weise verquickt ist. Es kann auf keinen Fall so aufgelöst werden, wie gestern ein paar Mal Ansatzweise versucht wurde, daß man eine neue Menschlichkeit unter den unmenschlichen Verhältnissen sucht, sondern eher so, daß man die Restbestände jener immer noch sich selbstzugeschriebenen Menschlichkeit auch noch verdächtigt, daß sie Teil haben an einer Maschinerie, die Grauen verbreitet und Unerträglichkeit produziert. In dieser Lage - so krass wie sie auch immer sei - geben wir diese Gründung bekannt und hoffen, daß wir mit Ihrer Hilfe ein Stück vorankommen in dieser Aufdeckung der sicher komplizierten, aber zweifellos auch eindeutig unerträglichen Lage.

Hier und heute wurde von der Freien Universität Berlin, Institut für Soziologie, Abteilung Kultursoziologie und Anthropologie und der Irrenoffensive e.V. das

Foucault-Tribunal
Zur Lage der Psychiatrie


gegründet.

Aus Anlaß eines wissenschaftlichen Symposiums zur Lage der Psychiatrie mit dem Thema "Grausames Mitleid" (Thomas S. Szasz) ergab sich die Notwendigkeit einer öffentlichen Verhandlung der wirklichen Lebensverhältnisse von zwangseingewiesenen und zwangsbehandelten Menschen. Die Zeit des Totschweigens soll aufhören.

Die im Symposium geäußerten Klagen und Anklagen Betroffener machen es unumgänglich, daß Wissenschaftler die Frage der Verantwortung ihrer Wissenschaft für die historischen, politischen und sozialen Folgen übernehmen und endlich öffentlich, auf breiter Grundlage und mit Unerbittlichkeit verhandeln.

Das Foucault-Tribunal wird im Februar 1998 in Berlin stattfinden, und zwar als Lehrstück in Prozeßform, unter der Beteiligung von

u.a. Thomas S. Szasz, Dietmar Kamper, Wolf-Dieter Narr, Gerburg Treusch-Dieter, Peter Kruckenberg, Niels Pörksen.


Eine kleine Erläuterung dazu: hier und heute ist das Wort, daß Hegel am wenigsten mochte, daß wir aber wegen der aktuellen Konflikte nehmen müssen und wählen müssen und die Formel von der Verantwortung der Wissenschaft für ihre Folgen habe ich der Bronzetafel entnommen, die am Otto-Suhr-Institut seit vielen Jahren außen angebracht ist und die auf den großen politischen Skandal hinweist, daß in dem Hause, wo das Otto-Suhr-Institut gegenwärtig untergebracht ist, einmal ein Institut für Anthropologie arbeitete, dessen Direktoren und vor allen Dingen dessen eine Assistent dann eine berüchtigte Berühmtheit bekommen hat, nämlich Herr Mengele war dort tätig und die Universität hat zumindestens dieses vermocht, eine solche Bronzetafel anzubringen ohne, daß jederzeit garantiert werden konnte, daß die Wissenschaftler von heute eine solche Aufforderung wirklich übernehmen. Aber eine Erinnerung daran dürfte nicht falsch sein.

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