Publiziert im Feuilleton der "Junge Welt"
am 5.12.2001 auf Seite 13

 
Sparen - geil!

Das Hochschulwesen - ein offener Brief an die Berliner Ampelverhandlungsgrünen

 


Unter Sparzwang wird Politik ehrlich: Wenn dann Prioritäten gesetzt werden, offenbaren sich die Interessen der Herrschenden deutlicher als bei vollen Kassen. Die Subventionskanne kann nicht mehr geschwenkt, »Freundschaft« nicht mehr überall erkauft werden. Nach »Eigensinnigkeiten« oder Revolten wird ja normalerweise das Stillhalten gefördert, sobald harte Zensur und Repressionsmaßnahmen gescheitert sind – genau das war das Resultat der 68er Studentenrevolte in Westberlin: Für die Freie Universität Berlin rollte der Rubel, der Sponti-AStA konnte sich sogar eine eigene Druckerei aufbauen. Die ökosophische Bio-Gesundheitswende begann schon in den 70ern zum Tranquilizer kritischer Bedürfnisse zu werden und der Marsch durch die Institutionen in die »Elite«-Positionen besorgte den Rest. Endstation Fischer.

Nun soll also Berlin einen Sparhaushalt verabschieden. Als politischen Ratschlag habe ich mir erlaubt, dem Grünen Zünglein an der Waage einen wohlmeinenden Vorschlag zur Hochschulpolitik zu unterbreiten. Dieser Brief ist eine Reaktion auf die Veröffentlichung des Plans der Großkonzerne, sich eine »Elite«-Uni in Berlin zu leisten – eine Chance, die es unbedingt zu nutzen gilt, die aber nur wie folgt zum emanzipatorischen Erfolg werden könnte:

a) Berlin verkauft die ganze Technische Universität an die Konzerne – mit allem drum und dran, das hilft der Haushaltssanierung. Die geisteswissenschaftlichen Teile der Technischen Universität sind klein und werden von der Freien Universität übernommen. Die Techniker sind eh nur Funktionsakrobaten der kapitalistischen (heute heißt das ja »Investoren«-)Wirtschaft. Nur logisch, daß die den ganzen Ausbildungsapparat selbst bezahlt und alles direkt vorgibt! Die sollen rechnen, was »sich rechnet«.

b) die Humboldt-Universität wird vollends medizinialisiert, ihr Haushalt ist sowieso schon zu 80 Prozent Krankenhausbetrieb, da kann sie das Klinikum Steglitz der Freien Universität auch noch bekommen. Sie wird an Siemens, Schering, Hartmannbund und Co verscherbelt. Die vielen Innenstadt-»Filets« werden gut was bringen, ansonsten siehe Modell a) (Falls jemand nicht glauben will, was für ein medizinisch-industrieller Gentechnikkomplex die Humboldt-Universität geworden ist, soll er sich mal die Umsätze von Campus Charité, Campus Virchow Klinikum und Genforschungszentrum mit Forensikknast Campus Buch im Vergleich zum Restetat vor Augen führen. Dazu kommt die geballte Aggressivität der Interessenverbindung dieser gesellschaftlichen »Hoffnungs«-Träger und Priesterkasten. »Das ist ein Haifischbecken«, sagte ein Kenner wie Seehofer mal.)

c) die Freie Universität wird zur reinen geisteswissenschaftlichen, gesellschaftlich-politischen und juridischen Universität. Und da kommt das Pfund rein, da spielt die Musik. Die wird befreit von Leistungszwängen und Schein-Ansprüchen, da kommt ein Antimedizinisches Institut hin, der Lehrstuhl für Wahnsinn wird zugelassen, es wird experimentiert mit Volksuni und Volkshochschule. Wenn dafür nur die Hälfte von den gesparten Zuschüssen der Humboldt- und Technischen Universität kommt, wird die Freie Universität tatsächlich zum phantastischen Zentrum. Die Kritische Universität könnte 33 Jahre nach ihrer Ausrufung Wirklichkeit werden, das Salz in der Suppe, die Subventionsschleuder für Kritik, Subversion und freien Geist.

Erst diese Antithese zu a) und b) würde den Anspruch auf »Wissenschaftlichkeit« einlösen. Denn »Wissenschaft« ist im Gegensatz zu dem, was uns die philosophischen Konkursverwalter des Positivismus weismachen wollen, in dem Sinne zutiefst dialektisch, daß sie vom lebendigen Geist des Widerspruchs lebt, der die unausgesprochenen Regeln sichtbar macht und die Unterwerfungen, Abhängigkeiten und Widersprüche aufdeckt. Das »rechnet sich nicht«, ist »unproduktiv«, ja manchmal destruktiv, provokativ, beunruhigend, verunsichernd und polemisch. »Wissenschaft« stellt all die schönen Hypothesen auf den Prüfstand der Kritik und braucht die Auseinandersetzung und zwar gegen das »Konsensprinzip« und die Gleichschaltung der Herrschenden. Foucault: »Darum ist die Theorie nicht der Ausdruck, die Übersetzung, die Anwendung einer Praxis; sie ist selbst eine Praxis ... Sie ist Kampf gegen die Macht, Kampf um ihre Sichtbarmachung und Schwächung dort, wo sie am unsichtbarsten und hinterhältigsten ist.« Und die Diplome, die stellt das Leben aus.

Als erster Schritt müßte FU-Präsident Gaehtgens dauerbeurlaubt werden und statt dessen z.B. Prof. Narr oder Prof. Gerburg Treusch-Dieter zum Strippenzieher gemacht werden, er oder sie würden tatsächlich gesellschaftlich einen neuen Wind in die Stadt bringen. Das ist ein super Plan, und ich kann nur dringenst empfehlen, ihn zu verwirklichen. Er würde der bundesrepublikanische Knaller, der Kontrapunkt zur Biedermeierentwicklung, die die große Koalition Berlin gebracht hat. Diese Konkurrenz der Phantastischen und der Kommerzunis – das wird ein Freudenfest! Soweit mein Brief.

Aber warum wollen die denn nicht fürs Gürtel-enger-Schnallen ein Stück Freiheit zugestehen? Weil a) und b) den Legitimationsschleier wegreißen würden. Weil offensichtlich würde, daß die Universitäten tatsächlich Kaderschmieden der Herrschenden sind. Weil die staatliche Finanzierung vortäuscht, es würde um ein »Gemeinwohl« gehen, man wäre einem »objektiven« Geist verpflichtet, Professor-Sein sei ein »Verdienst«, obwohl es doch tatsächlich eine Funktion im Herrschafts- und Unterdrückungsapparat ist, Teil des Angstkartells der Phantasielosigkeit.

Rene Talbot

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