Unter Sparzwang
wird Politik ehrlich: Wenn dann Prioritäten gesetzt werden, offenbaren
sich die Interessen der Herrschenden deutlicher als bei vollen Kassen.
Die Subventionskanne kann nicht mehr geschwenkt, »Freundschaft«
nicht mehr überall erkauft werden. Nach »Eigensinnigkeiten«
oder Revolten wird ja normalerweise das Stillhalten gefördert,
sobald harte Zensur und Repressionsmaßnahmen gescheitert sind
– genau das war das Resultat der 68er Studentenrevolte in Westberlin:
Für die Freie Universität Berlin rollte der Rubel, der Sponti-AStA
konnte sich sogar eine eigene Druckerei aufbauen. Die ökosophische
Bio-Gesundheitswende begann schon in den 70ern zum Tranquilizer kritischer
Bedürfnisse zu werden und der Marsch durch die Institutionen in
die »Elite«-Positionen besorgte den Rest. Endstation Fischer.
Nun soll also Berlin einen Sparhaushalt verabschieden. Als politischen
Ratschlag habe ich mir erlaubt, dem Grünen Zünglein an der
Waage einen wohlmeinenden Vorschlag zur Hochschulpolitik zu unterbreiten.
Dieser Brief ist eine Reaktion auf die Veröffentlichung des Plans
der Großkonzerne, sich eine »Elite«-Uni in Berlin
zu leisten – eine Chance, die es unbedingt zu nutzen gilt, die aber
nur wie folgt zum emanzipatorischen Erfolg werden könnte:
a) Berlin verkauft die ganze Technische Universität an die Konzerne
– mit allem drum und dran, das hilft der Haushaltssanierung. Die geisteswissenschaftlichen
Teile der Technischen Universität sind klein und werden von der
Freien Universität übernommen. Die Techniker sind eh nur Funktionsakrobaten
der kapitalistischen (heute heißt das ja »Investoren«-)Wirtschaft.
Nur logisch, daß die den ganzen Ausbildungsapparat selbst bezahlt
und alles direkt vorgibt! Die sollen rechnen, was »sich rechnet«.
b) die Humboldt-Universität wird vollends medizinialisiert, ihr
Haushalt ist sowieso schon zu 80 Prozent Krankenhausbetrieb, da kann
sie das Klinikum Steglitz der Freien Universität auch noch bekommen.
Sie wird an Siemens, Schering, Hartmannbund und Co verscherbelt. Die
vielen Innenstadt-»Filets« werden gut was bringen, ansonsten
siehe Modell a) (Falls jemand nicht glauben will, was für ein medizinisch-industrieller
Gentechnikkomplex die Humboldt-Universität geworden ist, soll er
sich mal die Umsätze von Campus Charité, Campus Virchow
Klinikum und Genforschungszentrum mit Forensikknast Campus Buch im Vergleich
zum Restetat vor Augen führen. Dazu kommt die geballte Aggressivität
der Interessenverbindung dieser gesellschaftlichen »Hoffnungs«-Träger
und Priesterkasten. »Das ist ein Haifischbecken«, sagte
ein Kenner wie Seehofer mal.)
c) die Freie Universität wird zur reinen geisteswissenschaftlichen,
gesellschaftlich-politischen und juridischen Universität. Und da
kommt das Pfund rein, da spielt die Musik. Die wird befreit von Leistungszwängen
und Schein-Ansprüchen, da kommt ein Antimedizinisches Institut
hin, der Lehrstuhl für Wahnsinn wird zugelassen, es wird experimentiert
mit Volksuni und Volkshochschule. Wenn dafür nur die Hälfte
von den gesparten Zuschüssen der Humboldt- und Technischen Universität
kommt, wird die Freie Universität tatsächlich zum phantastischen
Zentrum. Die Kritische Universität könnte 33 Jahre nach ihrer
Ausrufung Wirklichkeit werden, das Salz in der Suppe, die Subventionsschleuder
für Kritik, Subversion und freien Geist.
Erst diese Antithese zu a) und b) würde den Anspruch auf »Wissenschaftlichkeit«
einlösen. Denn »Wissenschaft« ist im Gegensatz zu dem,
was uns die philosophischen Konkursverwalter des Positivismus weismachen
wollen, in dem Sinne zutiefst dialektisch, daß sie vom lebendigen
Geist des Widerspruchs lebt, der die unausgesprochenen Regeln sichtbar
macht und die Unterwerfungen, Abhängigkeiten und Widersprüche
aufdeckt. Das »rechnet sich nicht«, ist »unproduktiv«,
ja manchmal destruktiv, provokativ, beunruhigend, verunsichernd und
polemisch. »Wissenschaft« stellt all die schönen Hypothesen
auf den Prüfstand der Kritik und braucht die Auseinandersetzung
und zwar gegen das »Konsensprinzip« und die Gleichschaltung
der Herrschenden. Foucault: »Darum ist die Theorie nicht der Ausdruck,
die Übersetzung, die Anwendung einer Praxis; sie ist selbst eine
Praxis ... Sie ist Kampf gegen die Macht, Kampf um ihre Sichtbarmachung
und Schwächung dort, wo sie am unsichtbarsten und hinterhältigsten
ist.« Und die Diplome, die stellt das Leben aus.
Als erster Schritt müßte FU-Präsident Gaehtgens dauerbeurlaubt
werden und statt dessen z.B. Prof. Narr oder Prof. Gerburg Treusch-Dieter
zum Strippenzieher gemacht werden, er oder sie würden tatsächlich
gesellschaftlich einen neuen Wind in die Stadt bringen. Das ist ein
super Plan, und ich kann nur dringenst empfehlen, ihn zu verwirklichen.
Er würde der bundesrepublikanische Knaller, der Kontrapunkt zur
Biedermeierentwicklung, die die große Koalition Berlin gebracht
hat. Diese Konkurrenz der Phantastischen und der Kommerzunis – das wird
ein Freudenfest! Soweit mein Brief.
Aber warum wollen die denn nicht fürs Gürtel-enger-Schnallen
ein Stück Freiheit zugestehen? Weil a) und b) den Legitimationsschleier
wegreißen würden. Weil offensichtlich würde, daß
die Universitäten tatsächlich Kaderschmieden der Herrschenden
sind. Weil die staatliche Finanzierung vortäuscht, es würde
um ein »Gemeinwohl« gehen, man wäre einem »objektiven«
Geist verpflichtet, Professor-Sein sei ein »Verdienst«,
obwohl es doch tatsächlich eine Funktion im Herrschafts- und Unterdrückungsapparat
ist, Teil des Angstkartells der Phantasielosigkeit.
Rene
Talbot
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