Lehrstuhl FÜR Wahnsinn - Pressereaktionen:

- Berliner Morgenpost (siehe unten) - Samstag, 24. April 1999

- taz: Samstag, 24. April 1999

- FR: Donnerstag 12.August 1999

- ND: Dienstag 26. Oktober 1999

HOCHSCHULE & WISSENSCHAFT

Seite 36 - SONNABEND, 24. APRIL 1999 BERLINER MORGENPOST

Irren-Offensive an der Uni

Auf den Tischen türmten sich die selbstgeschmierten Wurstbrote. Dumpfe Rhythmen eines Bongospielers ließen den Seminarraum erzittern. Ein Transparent fordert die Umbenennung der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in "Lady-Diana-Klinik". Die labyrinthischen Gänge der Rostlaube an der Freien Universität (FU) haben schon manchen um den Verstand gebracht. Doch jetzt sind die Irren selbst gekommen: Der Lehrstuhl für Wahnsinn stellt sein Semesterprogramm vor.

Gibt es an der FU wirklich einen solchen Lehrstuhl, dessen Dozenten von Menschen bestimmt werden, die sich selbst als Irre bezeichnen? Mit Professor und Assistenten und Prüfungsrecht? Nein, an der FU wird zwar über Geisteskrankheiten geforscht, doch die Philosophen haben sich bisher standhaft geweigert, der Berliner Irren-Offensive e.V. einen Lehrstuhl zu errichten. Obwohl sich der Asta der FU am l. April von dieser Idee "begeistert" zeigte, und für die Wahnsinnsforscher ein "voll ausgestattetes Sekretariat" forderte.

Die Irren-Offensive will die Verrückten an die Universität holen. Der Wahnsinn soll an diesem Lehrstuhl selbst zu Wort kommen. Psychiatrieopfer, Elektroschock-Patienten und andere Ausgegrenzte werden hier ihre Stimmen erheben - und es wird nicht die Stimme der Vernunft sein. Die ertönt auf der anderen Seite der Habelschwerdter Allee im philosophischen Institut, und will sich auf die Verrückten gar nicht erst einlassen. "Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit ihrem Themenkomplex hat nicht stattgefunden", ließ die Lehrkommission der Philosophen die Irren-Offensive zu Beginn des Sommersemesters wissen.

Hätte nicht Prof. Klaus-Jürgen Bruder vom Fachbereich für Psychologie die Initiative unterstützt, der Wahnsinns-Lehrstuhl wäre wohl vor den Toren der FU geblieben. Drei Seminare bietet der Lehrstuhl in diesem Semester an: Elke Heitmüller doziert über "Die Logik der Knoten", Fritz J. Rudert über den "Europäisch/irdisch-globalen Guru Fritz Mauthner" und René Talbot über "Implikationen der Annahme von Nichtlokalität".

Unter "Verrückte Diskurse" finden sie sich im offiziellen Vorlesungsverzeichnis der Freien Universität. So schleicht sich auf leisen Sohlen der Wahnsinn in die Rostlaube.

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Diskurse des Wahnsinns.
Die Zwangs-Psychiatisierung sehen manche Kritiker als eine Verletzung der Menschenrechte.

(Bild: Sabine Adorf/version)



copyright:
Frankfurter Rundschau
Donnerstag, 12. August 1999 - Seite 6 - Schule und Hochschule

"Der Lehrstuhl für Wahnsinn ist Wirklichkeit geworden"
Davon konnte Michel Foucault nur träumen:
Autonome Seminare über "Verrückte Diskurse" an der FU Berlin

Von Peter Nowak

Die Rhythmen der Trommel eines Bongospielers dröhnen durch den Hörsaal. Ein großes Transparent verdeckt eine Wand fast komplett. Die Studierenden lachen und scherzen ausgelassen. Die Atmosphäre erinnert eher an eine Streikparty als an eine Vorlesung. Augenblickliche Ruhe tritt ein, als René Talbot die wohl ungewöhnlichste Seminarreihe an der Freien Universität (FU) Berlin mit einigen einfahrenden Worten eröffnet.

„Aufklärung tut Not, deshalb ein Lehrstuhl für Wahnsinn an dieser Universität. Damit vervollständigt sich heute mit dem Beginn dieser Seminare und unserer anschließenden Feier ein Gedanke, der vor beinahe 50 Jahren von Foucault in die Welt gesetzt wurde: Der Lehrstuhl für Wahnsinn ist Wirklichkeit geworden."

Michel Foucault brachte in den fünfziger Jahren seine Freunde noch mit der Ankündigung zum Lachen, eines Tages einen „Lehrstuhl für Wahnsinn" am Collége des France innezuhaben. Was dem Meister versagt blieb, setzten im Frühjahr 1998 in Berlin drei psychiatrie-kritische Organisationen in die Tat um. Der Lehrstuhl für Wahnsinn wurde am Rande des mit internationaler Besetzung in der Berliner Volksbühne laufenden FoucaultTribunals gegründet.

Auf der Anklagebank stand die Zwangspsychiatrisierung, die nach dem Votum der Jury als Menschenrechtsverletzung international geächtet werden sollte. „Dazu bedarf es außer rechtlicher Änderungen erst einmal einer Öffentlichkeit und eines Platzes, von dem aus man die herrschende Psychiatrie angreifen kann. Ein solcher Ort par exellence ist die Universität", sagt René Talbot vom Verband der Psychiatrie-Erfahrenen.

Der Allgemeine Studentenausschuss der FU zeigte sich begeistert von der Idee eines neuen Lehrstuhls für Wahnsinn und forderte die Universitätsverwaltung per Beschluss auf, das Vorhaben zügig zu unterstützen und den Initiatoren ein voll ausgestattetes Sekretariat zu stellen.

Doch die Realität sah anders aus. Nach dem Gründungsakt begann ein Hürdenlauf durch die universitären Institutionen, an den sich Talbot nur noch ungern zurück erinnert. „Die anwesenden Professoren in der Lehrkommission des Fachbereichs Philosophie haben sich weder inhaltlich noch formal angemessen mit den drei vom Lehrstuhl für Wahnsinn eingereichten Seminar-Vorschlägen auseinandergesetzt", erregt sich Talbot und zitiert aus einem Schreiben: „Gemäß dem Beschluss der Lehrkommission bin ich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Kollektiv-Lehrauftrag aus formalen Gründen abgelehnt wird. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Ihrern Themenkomplex hat nicht stattgefunden."

Die Vorsitzende der Lehrkommission, Maike Paeßens, kann die ganze Aufregung nicht verstehen. „Die vom Lehrstuhl des Wahnsinns benannten Lehrenden hatten keinen Hochschulabschluss. Daher mussten wir den Antrag aus formalen Gründen ablehnen, bevor es überhaupt zu einer Auseinandersetzung mit den Inhalten kommt." Privat begrüßt sie die Initiative und hofft, dass sie auch als autonome Seminare weiterhin für die Bereicherung des Uni-Angebots sorgen werden.

Tatsächlich waren die drei vom Lehrstuhl für Wahnsinn im Sommersemester 1999 angebotenen Seminare gut besucht und die Studierenden bis zum Schluss mit Eifer bei der Sache. Mit der Produktion des Wahnsinns und der Rolle, die dabei naturwissenschaftliche Modelle der Sezierung der Vernunft spielen, beschäftigte sich Elke Heitmüller im Seminar „Verrückte Gesellschaft". Fritz Joachim Rudert widmet sein Seminar dem Leben des heute weitgehend in Vergessenheit geratenen autodidaktischen Philosophen und Sprachkritikers Fritz Mauthner. Mit den Fragen der mathematischen Logik beschäftigte sich René Talbot in seinem Seminar „Implikationen der Annahme von Nichtlokalität".

Im kommenden Wintersemester wird der Lehrstuhl für Wahnsinn zwei Seminare anbieten, die sich mit der Rolle der Gentechnologie beschäftigen. Etwas Akademischer wird es bei Elke Heitmüller zugehen. „Mit Blick auf die neuesten Entwicklungen der Biotechnologie lädt das Seminar ein, mittels diskursanalytischen Verfahren einen Blick zurück - auf die Geschichte des Wahnsinns - zu werfen", heißt es in der Ankündigung.

Unter dem Titel „Radikale Ausgrenzung" will Talbot das Comeback der biologischen Psychiatrie kritisch unter die Lupe nehmen. Auch für das Sommersemester 2000 sind die Seminarpläne bereits in der Schublade. Als Unterstützer hat der Lehrstuhl für Wahnsinn dafür den Politologie-Professor Wolf-Dieter Narr gewonnen.

Manche Studierende wollen zwar den Status des autonomen Seminars ohne Scheinvergabe beibehalten, weil es das studentische Engagement fördere. René Talbot will allerdings weiter um die institutionelle Anerkennung der Seminare kämpfen. Einen Teilerfolg hat er schon errungen, die Kursangebote finden sich unter der Bezeichnis „Verrückte Diskurse" im offiziellen Vorlesungsverzeichnis der Freien Universität.

 

 

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Dienstag, 26. Oktober 1999


Verrückte Diskurse im normalen Seminarbetrieb

Umstrittener Lehrstuhl für Wahnsinn an der Freien Universität Berlin


Von Carsten Becker

Was hat der Wahnsinn an der Universität verloren? Über diese Frage gibt es zur Zeit eine heftige Auseinandersetzung zwischen der Lehrkommission des Instituts für Philosophie an der FU Berlin und dem Landesverband der Psychiatrieerfahrenen, die ihre Kontaktadresse im Werner-Fuss-Zentrum im Berliner Bezirk Friedrichshain haben. Die umtriebige Gruppe organisierte im Frühjahr 1998 an der Berliner Volksbühne ein Anti-Psychiatrie-Tribunal. Im Mittelpunkt der hochkarätig besetzten Veranstaltung stand die Ächtung der Zwangspsychiatrisierung. Am Rande des Tribunals wurde die Idee für einen Lehrstuhl des Wahnsinns geboren. Dabei beriefen sich die Initiatoren auf den Namensgeber des Tribunals. Vor über 50 Jahren äußerte Michel Foucault vor Freunden, sein größter Wunsch sei es, den Lehrstuhl für Wahnsinn am College de France zu belegen.

Dass für die Lehrstuhlinitiatoren Foucault einer der geistigen Mentoren ist, wird an den Themen der bisherigen Kurse deutlich. Es geht dort um Wahnsinn und Gesellschaft, um das Hinterfragen des Normalitätsbegriffs und um den Kampf gegen gesellschaftliche Ausgrenzung. Dabei betonte René Talbot vom Verband der Psychiatrieerfahrenen, er wolle den Lehrstuhl als einen Ort nutzen, von dem aus die herrschende Psychiatrie angegriffen werden kann. Auch die Themen der angebotenen Seminare widmen sich häufig aktuell-politischen Fragen. So befasst sich Talbot unter dem Titel »Radikale Ausgrenzung« mit der Gentechnologie. »Im Seminar sollen die nötigen theoretischen und praktischen Vorbereitungen zur Gegenwehr erarbeitet werden«, heißt es unverblümt in der Kursankündigung.

Soviel parteiische Wissenschaft ist allerdings den Gremien des Philosophischen Instituts nicht geheuer. »Weder können wir erkennen, dass es sich bei diesen Themen um spezifisch philosophische Themen handelt, noch lassen die Unterlagen erkennen, dass bei den Antragstellern die besondere Qualifikation vorliegt, die in solchen Fällen verlangt wird«, heißt es in einer vom Fachbereich des Philosophischen Instituts verfassten Begründung für die Ablehnung des Lehrauftrags. Keiner der Lehrstuhl-Initiatoren habe einen Hochschulabschluss und erfülle so schlicht die für einen Lehrstuhl erforderliche Qualifikation nicht, begründete der geschäftsführende Direktor des Philosophischen Instituts, Holm Tetens, diese Ablehnung. Doch es geht ihm nicht nur um formale Gründe. »Die Universität muss sich auch weiterhin von einer Klapsmühle unterscheiden«, betont er. Aus eigener Erfahrung könne er sagen, dass gerade Philosophiedozenten mit Anfragen von Menschen überhäuft werden, die einer fixen Idee anhängen.

Die Lehrstuhlinitiatoren bezeichnen die Ablehnung ihres Projekts äls »Vorzensur« und »Faustschlag ins Gesicht des Astas«. Der hatte sich nämlich schon im April »begeistert« über den Lehrstuhl für Wahnsinn gezeigt und die Universitätsleitung aufgefordert, das Projekt mit den erforderlichen Mitteln zu unterstützen. »Wir bleiben auch jetzt bei unserer Unterstützung für den Lehrstuhl des Wahnsinns«, erklärte ein Sprecher des FU-Asta auf Nachfrage dem ND. Auch viele Kommilitonen finden das Projekt interessant. »Selbstorganisierte Seminare gehörten zu den zentralen Forderungen des großen Unistreiks 1988/89. In den folgenden Semestern gab es eine Fülle solcher Projekte. Doch heute interessieren sich viele Studierende nur noch für das Programm, das sie für ihren Schein brauchen. Daher ist der Lehrstuhl für Wahnsinn auch ein Experiment, meinte Langzeitstudent Michael, der keinen gesteigerten Wert darauf legt, dass das Projekt offiziell anerkannt wird. »Scheinfähigkeit untergräbt die Kreativität der Teilnehmer. Im philosophischen Institut werden für die Veranstaltungen des Lehrstuhls für Wahnsinn keine Räume zur Verfügung gestellt«, meint Holm Tetens. Doch da haben die Initiatoren schon vorgesorgt. Die Vorlesungen findet jeden Freitag zwischen 14 und 18 Uhr im Osteuropainstitut der FU statt.

 

 

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